Familienfreundliches Drehen Pro Quote Film

Was kann Filmschaffenden mit Kindern oder familiären Pflegeaufgaben helfen, weiter in der Filmbranche zu arbeiten?

Arbeitszeitmodelle

Filmschaffende erschaffen im Team Filme, sie arbeiten über eine gesamte Produktionsdauer oder für einzelne Tage, in wenigen Filmprojekten mit großen Abständen oder nahtlos in einem nach dem anderen. Egal ob sie alleinstehend sind oder Familienverpflichtungen haben. Sie wollen arbeiten, in einem oder mehreren Projekten im Jahr, wie es gerade zu ihrer Lebenssituation passt.

Flexibles Arbeiten beschreibt eine Arbeitsweise, bei der die Einzelnen eine gewisse Autonomie und Kontrolle darüber haben, wo, wann und wie viel sie arbeiten. Es beinhaltet flexible Lebens-, Jahres- oder Wochenarbeitszeiten und die Möglichkeit fluider Arbeitsmodelle. Das ist immerhin ein Vorteil bei unsteten Beschäftigungsverhältnissen, kein Projekt muss sein wie das davor, kein Projekt muss unmittelbar auf das vorherige folgen. Und nicht alle Filmschaffenden müssen in Vollzeit arbeiten, was in der Filmbranche oft eine 60 Stunden-Woche bedeutet. Oder mehr noch: eine rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit. Dass dies nicht nur ungesund ist sondern für z.B. Eltern mit kleinen Kindern schier unmöglich liegt auf der Hand. Welche Kinderbetreuung ist schon ständig verfügbar, und wie ist das für die Kinder, und Eltern?

Die Erwerbstätigenquote von Eltern mit Kindern unter sechs Jahren in Deutschland zeigt, dass Väter zu 80 – 90 % arbeiten, egal ob sie ein, zwei oder drei Kinder unter sechs Jahren haben. Nur jede zweite Mutter geht in der gleichen familiären Situation einer Erwerbstätigkeit nach. (Analyse SchspIN, Daten Statistisches Bundesamt 2021). Von berufstätigen Frauen mit minderjährigen Kindern, also Kindern unter 18 Jahren, arbeitet der Großteil in Teilzeit, egal ob gewünscht oder notgedrungen. Männer mit minderjährigen Kindern hingegen arbeiten nur zu 5 % in Teilzeit.

Während bei Unselbstständigen wie Selbstständigen die verlässliche Fixierung von Projekten eine hohe Relevanz einnimmt, erachten Erstere vergleichsweise öfter Maßnahmen zur Arbeitszeitreduktion (und hier verstärkt in Richtung einer 40-Stunden Woche) sowie die Einführung einer 4-Tage Woche als zentral. Bei Selbstständigen stehen dagegen Maßnahmen zur Arbeitszeitreduktion- oder Komprimierung weniger im Mittelpunkt, dafür spielt die finanzielle Unterstützung individueller Kinderbetreuung eine zentralere Rolle.

Vereinbarkeitsstudie von Film Fatal 2022

Wenn die Filmbranche nicht Jahr für Jahr erfahrene Fachkräfte verlieren, wenn sie für Frauen attraktiv sein oder werden und Vereinbarkeiten ermöglichen will, dann muss sie auch Modelle jenseits von Vollzeit zulassen, sprich: Arbeitszeitreduzierung. Dies ist auch im Interesse guter Produktionen und qualitativ hochwertiger Filme.

Laut einer bislang unveröffentlichen Umfrage von ver.di FilmUnion 2024 wollen eine Mehrheit der Filmschaffenden lieber andere Arbeitszeitenregelungen wie z.B. drehfreie Freitagabende oder einen zusätzlichen freien Tag in der Woche als mehr Geld.

  • Flexibilität und mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeitgestaltung

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    Arbeitszeiten in einer Produktion von Anfang an flexibel gestalten bzw. gestaltbar machen. Das bedeutet, dass auch die Einzelnen eine gewisse Autonomie und Kontrolle darüber haben, wo, wann und wie viel sie arbeiten. Die Produktionen können verschiedene Modelle ausprobieren, um eine höhere Mitarbeitszufriedenheit, potenzielle Vereinbarkeit Familie-Beruf und effektiveres Arbeiten zu erreichen.
    Darüber hinaus können Ziele sein, mittelfristig kürzere Arbeitstage für alle zu gewährleisten und individuell verhandelbare Arbeitszeiten und Schichten je nach persönlicher Situation auszuprobieren (siehe weiter unten: Gewerkensembles)

  • Die 4-Tage-Woche als Option

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    Die 4-Tage-Woche für die Film- und Fernsehbranche ist aktuell (Februar 2024) eine der Forderungen, mit denen ver.di FilmUnion in die Tarifverhandlungen gegangen ist. (siehe auch Studien)
    Es gibt bereits Produktionen, die mit diesem Modell gearbeitet haben (siehe Inspirationen), auch wenn das mit dem aktuell gültigen Tarifvertrag eigentlich nicht vereinbar ist, der die 5-Tage-Woche garantiert.
    Es gibt verschiedene Modelle, eine 4-Tage-Woche umzusetzen. Vermutlich am weitestgehenden ist eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich mit der gleichen Tagesarbeitszeit wie bei der 5-Tage-Woche. Dies bedeutet für die Filmschaffenden einen wöchentlich freien Werktag, der zur zusätzlichen Entspannung, mit der Familie, aber auch für Behördengänge und Arzttermine genutzt werden kann – was normalerweise während Produktionen kaum möglich ist. Das Modell 4-Tage-Woche wird auch in anderen Bereichen der Gesellschaft zur Zeit diskutiert und ausprobiert, teilweise weisen Untersuchungen darauf hin, dass in vier Tagen oft pro Tag mehr geleistet wird als bei fünf Tagen. Dies sind allerdings keine Studien aus der Filmbranche. Dort würde eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich für die Produktionsfirmen durch die längeren Produktionszeiträume deutlich höhere Kosten verursachen.
    Eine andere Möglichkeit, die auch bereits bei Serien praktiziert wurde, ist die 4-Tage-Woche ohne Lohnausgleich. Auch sie führt zu längeren Produktionsdauern, die Filmschaffenden verdienen das gleiche für ihre Arbeit, nur über einen längeren Zeitraum, also unter dem Strich erhalten sie niedrigere Wochengagen.
    Die Variante „individuelle 4-Tage-Woche“ bedeutet, dass die Filmproduktion wie bisher über 5 Tage läuft, aber einzelne Filmschaffende – z.B. über Schichtsysteme, Geteilte Jobs, Gewerkensembles – nur vier Tage arbeiten.
    Was in der deutschen Filmbranche zur Zeit aufgrund der hohen Wochenarbeitszeit nicht möglich ist: das 5-Tage-Pensum auf 4 Tage verteilen – denn so werden die Tage viel zu lang und die Ruhezeiten können nicht mehr eingehalten werden. Dieses Modell wird allerdings beispielsweise in Einzelfällen in Dänemark praktiziert – z.B. bei Auswärtsdrehs, damit alle ein längeres Wochenende mit ihren Familien haben können. In der dänischen Filmbranche gilt der 8-Stunden-Tag.

  • Der 8-Stunden-Tag für eine/n oder allle

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    Der 8-Stunden-Tag schließt sich inhaltlich an die 4-Tage-Woche an – er lässt sich am ehesten mit Schichtsystemen, Geteilten Jobs und Gewerkensembles verwirklichen. Ein großer Nutzen für die Filmschaffenden, die so ihre Arbeitskraft, Kreativität und Konzentration in einer kürzeren Zeitspanne erbringen müssen und ein großer Nutzen für die gesamte Produktion, da das Unfall- und Fehlerrisiko sinken und vermutlich die Stimmung insbesondere am Ende des Tages besser ist wenn die Mitarbeiter:innen mehrheitlich erst später am Tag angefangen haben und nicht schon seit den frühen Morgenstunden am Set sind.
    Das kann genauso die Vor- und Postproduktion betreffen.

  • Arbeitszeitverkürzung für alle

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    Wie erwähnt lassen lange Arbeitstage und -wochen nur wenig Raum für Privates und noch weniger für Betreuungsaufgaben. Oft wird das zu einer Entscheidung „Arbeit oder Familie“ drängen, was oft bedeutet, dass in Familien die Frauen zu Hause bleiben – oder sich eine schlechter qualifizierte Teilzeitarbeit außerhalb der Filmbranche suchen, ,idealerweise’ während das Kind / die Kinder in der Kita oder Schule ist oder die fürsorgebedürftigen Verwandten in einer Tagespflege. Eine Rückkehr in den eigentlichen Filmberuf wird so erschwert, – sehr viel mehr als dies bei einer reduzierten Arbeitszeit (z.B. über Geteilte Jobs) in Filmproduktionen der Fall wäre. Die in der Gesamtgesellschaft drohende Teilzeitfalle, die beschreibt, dass eine Rückkehr auf einen Vollzeitarbeitsplatz, der genauso qualifiziert ist wie der vor der Familienpause, ist vermutlich nicht ganz so drohend, solange es in unserer Branche einen Fachkräftemangel gibt. Beispielsweise können Modelle wie Geteilte Jobs auch verhindern, dass die Teilzeitarbeit zu einer absoluten – und nicht nur einer relativen- Einkommensreduktion führt.
    Wenn – wie beispielsweise bei der 4-Tage-Woche beschrieben – kürzere Arbeitszeiten zu längeren Produktionszeiträumen führt, hat das im übrigen noch den positiven Effekt, dass die Filmschaffenden zwar auf die Woche bezogen weniger verdienen, aber insgesamt für eine längere Zeit sozialversichert beschäftigt sind. Und vielleicht die – nicht automatisch versicherte – Lücke bis zum nächsten Projekt nicht so breit ist.

  • Geteilte Jobs – aus Eins mach Zwei

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    Zwei Filmschaffende teilen sich in einem Projekt eine Vollzeitposition. Wie sie die Arbeitszeit aufteilen können sie individuell nach Absprache mit der Produktion organisieren. Ob 50:50 oder zu anderen Anteilen, ob jeweils halbtags oder im tage- oder wochenweise Wechsel, es gibt viele Möglichkeiten.
    Produktionsfirmen können dieses Modell fördern bzw. Filmschaffenden bei der Umsetzung unterstützen. Durch das Teilen fallen weniger kostspielige Überstunden an, und die Produktion bekommt zwei Kreative zum Preis von einem. Mit Geteilten Jobs können Ausfälle leichter kompensiert werden, da beide das Projekt gut kennen und niemand Neues schnell eingearbeitet werden muss. Inwieweit dies letztendlich entstehende Mehrkosten für die Produktion ausgleicht bleibt abzuwarten. Vorsorglich kann für diese Option im Budget einen Puffer bei den Personalkosten eingeplant werden.

    Die Option Geteilter Jobs ist für sehr viele Teampositionen möglich, nicht nur bei den Assistenzen. Es gibt bereits Regieduos oder -trios, es gibt jetzt schon tageweise Vertretungen für DoP oder Filmtonmeister, da ist der Schritt zu geteilten Jobs kein großer. Lediglich im Schauspiel ist das vermutlich keine wirkliche Option, außer für Kinderdarsteller:innen.
    Allerdings gibt es auch Produzent:innen und Producer:innen, die Geteilten Jobs nichts Positives abgewinnen können und sie für nicht realisierbar halten, weil der Austausch und „die Ansprechperson“ nicht gewährleistet sind, weil unüberschaubare bzw. nicht gut kontrollierbare Kosten wie doppelte Mittagessen o.ä. entstehen und anderes mehr.
    Jedoch je häufiger Jobs geteilt werden, umso mehr Erfahrungen liegen vor, und umso leichter können Produktionen von den Fehlern und Lösungsansätzen Anderer lernen.

    Weitere Informationen u.a. für Filmschaffende die an diesem Ansatz interessiert sind und die wissen möchten, wie sie es am besten angehen, gibt es hier: Geteilte Jobs
    Wenn sich jemand nur in Teilzeit bewerben will, ohne eine zweite Hälfte, wäre das in dem Ansatz Gewerkensemble möglich.

  • Gewerkensemble: Verstärkung der Abteilungen

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    Hinter Gewerkensemble verbirgt sich das Konzept, für alle Abteilungen eine/n zusätzliche/n Filmschaffende/n mit halber Stelle einzustellen.
    Die Filmleute im Gewerk können untereinander Arbeitszeiten, Schichten und Vertretungen klären. So wird der Druck auf alle gemindert. Und es muss im Notfall (Krankheit, Familie usw.) nicht nach einer uneingearbeiteten Vertretung gesucht werden.
    Durch diese Ergänzung gibt es im gewissen Maße flexible Arbeitszeiten für alle, sie können selber, auch kurzfristig, schieben und Vertretungen durch eine von Anfang an im Projekt involvierte Fachkraft regeln, z.B. bei Krankheit, Geburt, Notfall bei Schulkindern und anderen Angehörigen, Schulfeiern, Pflegeheimsuche, Wohnungsbesichtigung, Arzttermin – von nicht-familienbezogenen Anlässen ganz zu schweigen.

    Auf der Plusseite finden sich
    • ein Mehrwert für alle Beteiligten durch gleichwertiges Aufteilen des Arbeitsgebietes und der Verantwortung im jeweiligen Gewerk auf mehrere Kolleg:innen.
    • längere sozialversicherte Zeiten für die halbe Zusatzkraft, als wenn sie nur für einzelne volle Tage z.B. im Krankheitsfall dazugeholt wird.
    • ein Informationsaustausch auf Augenhöhe.
    • Übergabezeiten als Arbeitszeit, dafür weniger Über-/ Unterstunden.
    • Flexibilität und Verständnis in Notfallsituationen, auf die unaufgeregt und prompt reagiert werden kann.
    • die Möglichkeit für werdende Väter, zur und nach der Geburt unkompliziert freigestellt zu werden. Sie können das rechtzeitig anmelden und werden vertreten.

    Auf der Minusseite finden sich
    • Mehrkosten durch die halbe Stelle, die vermutlich nicht durch die eingesparten Überstunden ausgeglichen werden.

    Es ist zu überlegen, ob die Zusatzkraft beispielsweise über ein bezahltes Praktikum organisiert werden kann. Siehe dazu auch Familienzeit / Wiedereinstieg.

  • Arbeitsfreie Zeit schützen

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    Meetingfreie Abende, kein Nachtdreh am Freitag, Einhaltung der arbeitsfreien Wochenenden, Respektieren der Bürozeiten, auch für Anrufe.
    Solange die Fahrtzeit nicht als Arbeitszeit anerkannt ist (s.u.): keine Anrufe, keine Aufforderung zu schnellen Erledigungen u.a.m.

  • Familienfreundliche Besprechungen

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    das bedeutet:
    Vor-Ort- oder Online-Besprechungen möglichst am Vormittag, wenn Zeit Kinder in der Kita oder Schule sind.
    Bei Besprechungen vor Ort unaufgefordert Kinderbetreuung anbieten.
    Die Möglichkeit für digitales Zuschalten zu Besprechungen anbieten.

  • Mehr Vorbereitungszeit für alle Teampositionen

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    Diesem Wunsch, der von Vertreter:innen verschiedener Filmberufe geäußert wurde, würde teilweise bereits entsprochen, wenn beispielsweise Projekte und Mitarbeiten früher verbindlich fixiert und wenn Drehbücher früher endgültig abgenommen werden (siehe Anders Arbeiten).

  • Fahrtzeiten als Arbeitszeit anerkennen

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    Früher konnten Arbeitnehmer:innen sich eine Wohnung in der Nähe ihres Arbeitsplatzes suchen, um möglichst kurze Wege zur Arbeit zu haben. Das ist allerdings angesichts der Wohnungskrise in den großen deutschen Städten nicht mehr der Fall. In der Filmbranche ist dies aber noch schwieriger, da auch unabhängig von Auslandsdrehs die Drehorte und damit Arbeitsplätze heute hier morgen da sein können. Die daraus resultierenden mitunter sehr langen Anfahrtzeiten sind aktuell Privatsache. (Ausnahmen sind beispielsweise Filmschaffende, die längerfristig bei einer Telenovela oder nur in den Babelsbergstudios, oder in der Postproduktion arbeiten.)
    Das kann dazu führen, dass zusätzlich zu den 12 Arbeitsstunden eines Drehtags noch zwei bis drei Stunden Fahrtzeit zur und vom Drehort kommen. Das bedeutet dann schnell 15 Stunden und mehr Abwesenheit von zu Hause (im Vereinbarkeitsfall: von der Familie).
    wenn die Fahrtzeit komplett oder beispielsweise ab 30 Minuten je Weg zur Arbeitszeit gehört würde entweder die Anwesenheit am Drehort reduziert, oder – das ist der saure Apfel – die Fahrtzeit würde als weitere Überstunden entsprechend mit Aufschlägen bezahlt.

    In den aktuellen Tarifverhandlungen von ver.di FilmUnion wird die Forderung erhoben, Fahrtzeiten komplett zur Arbeitszeit zu rechnen. (siehe Studien).

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