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Gesellschaft und Politik
Vereinbarkeit in Deutschland
Seit Jahren wird das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf und das damit verbundene Familienbewusstsein in Unternehmen in unserem Lande rauf und runter diskutiert. Immer wieder geht es darum, ob eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie möglich ist. Ob Mann/Frau einer Erwerbstätigkeit nachgehen und gleichzeitig den Kindern gerecht werden kann. Noch immer hält sich die Überzeugung, dass es nur schwer möglich ist. Corona hat uns mehr als deutlich vor Augen geführt, wie schwierig die Vereinbarkeit hierzulande ist.
Aber warum ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in vielen Ländern, auch solchen in direkter Nachbarschaft zu Deutschland, so viel besser möglich? Warum tun wir uns in Deutschland so schwer damit?
Schlechte Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit
- Noch immer fehlen in Deutschland über 360.000 Betreuungsplätze für die Jüngsten. Noch immer halten wir in Deutschland an der Halbtagsschule fest und zwingen Eltern dazu, als Co-Lehrer*innen zu fungieren. Noch immer laufen wir offenen Auges in die Pflegekrise, bzw. nehmen sie schweigend hin.
- Während laut EU-Recht bereits 2022 in Deutschland eine Vaterschaftsfreistellung hätte eingeführt werden müssen, wird diese erst abgeschmettert und zur Zeit noch immer im Bundestag diskutiert.
- Das Elterngeld wurde 2007 eingeführt und seither nicht mehr angepasst. Seit 2007 können Eltern nicht mehr als 1.800 Euro Elterngeld pro Monat beziehen.
- Ehegattensplitting, Mitversichern der/des Partner*in in der Krankenkasse ermutigen die/den schlechter verdienenden Partner*in maximal in Teilzeit zu arbeiten.
- Zwar bezeichnen sich viele Unternehmen als familienfreundlich. Die Arbeitnehmenden sehen das aber oftmals nicht so. Noch immer halten sich in vielen Unternehmen starre Arbeitszeiten, Anwesenheitspflicht und mangelnde Unterstützung bei der Kinderbetreuung sowie Pflege.
Wie soll unter diesen Voraussetzungen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich sein? Selbst Optimist*innen müssen sich fragen, ob es tatsächlich spielerisch möglich ist, einen 72-Stunden-Job in der Familie mit einem 40-Stunden-Job im Beruf zu vereinbaren. Ein solcher Konstrukt ist zum Scheitern verurteilt ist.
Die Folge: Frauen in Deutschland sind zwar auch wenn sie Mutter werden zu einem hohen Prozentsatz erwerbstätig, aber lediglich zu einer geringen Gesamtstundenzahl. Der CareGap in Deutschland liegt bei 52 Prozent. Frauen leisten noch immer die Hauptarbeit, wenn es um die Betreuung der Kinder und die Pflege von Angehörigen geht. Um das leisten zu können, können sie nur in Teilzeit erwerbstätig sein.
Die Gesellschaft tickt heute anders
Männer gelten nicht mehr als die alleinigen Familienernährer. Frauen nicht mehr als die alleinigen Familienhüterinnen. Die meisten Frauen sind heute besser ausgebildet als die vorangehende Müttergeneration und sie legen einen größeren Wert auf Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Frauen wollen kein „entweder/oder“ sondern ein „und“, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Viele Mütter, die länger als ein halbes Jahr in Elternzeit waren, wären gerne früher wieder in den Beruf eingestiegen. Mütter, die in Teilzeit arbeiten, würden gerne mehr Stunden einer Erwerbstätigkeit nachgehen.
Die heutige Vätergeneration möchten sich mehr an der Erziehung ihrer Kinder beteiligen. 2022 bezogen bereits 26,1 Prozent der Väter Elterngeld. Ein Anstieg von 23 Prozent im Vergleich zu 2007. Die durchschnittliche Dauer des Elterngeldbezugs liegt aber bei lediglich 3,6 Monaten. Ein Grund dafür ist, dass Väter befürchten, die Elternzeit könne ihrer Karriere schaden. Gleichzeitig scheuen immer mehr Väter nicht mehr davon zurück, den Arbeitgeber zu wechseln. Rund 450.000 Väter haben dies schon zugunsten einer besseren Vereinbarkeit getan. Tendenz steigend. Aktuell denken mehr als 1,7 Millionen Väter häufig oder zumindest manchmal über einen Arbeitgebendenwechsel nach.
Vereinbarkeit ist aber mehr als die Kleinfamilie: Vater, Mutter, Kind(er). Aktuell werden laut Destatis 5,0 Millionen Menschen Zuhause von Angehörigen gepflegt. Etwa Zweidrittel dieser pflegenden Angehörigen sind neben der Pflege erwerbstätig. Auch hier: Tendenz steigend. Sowohl bei den Pflegebedürftigen als auch bei den Erwerbstätigen, die Beruf und Pflege vereinbaren. Obgleich die Unterschiede gravierend sind, wird das Thema „Beruf und Pflege“ oftmals mit der Vereinbarkeit von „Beruf und Kinder“ gleichgesetzt. Angefangen damit, dass die Pflegeaufgabe oft „über Nacht“ auf die Mitarbeitenden zukommt, über die räumliche Distanz, die häufig zu überwinden ist, bis hin zu der Dauer. Wie lange jemand gepflegt werden muss, ist in aller Regel nicht absehbar. (Stand 01/2024 arbeitet die Regierung an einem neuen Pflegezeitgesetz.)
Aber nicht nur für Mitarbeitende mit Familienaufgaben wünschen sich eine familienbewusste Unternehmen. Für 78 Prozent der Beschäftigten ohne kleine Kinder und ohne zu pflegende Angehörige sind familienfreundliche Angebote wichtig. Denn familienbewusste Maßnahmen sind Ausdruck einer Unternehmenskultur, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Höchste Zeit also für eine Politik, die sich den Herausforderungen der erwerbstätigen Eltern und pflegenden Angehörigen annimmt. Höchste Zeit aber auch für mehr Familienbewusstsein in den Unternehmen aller Branchen. Denn in besseren Rahmenbedingungen und mehr Familienbewusstsein liegt auch eine große Chance dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
NIcole Beste-Fopma, Expertin für Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Foto Jennifer Fey.